Gast-Artikel von Stefan Wenzel für Profashionals zu den Gebührenerhöhungen auf Marktplätzen und den steigenden Anforderungen für die Protagonisten
Hier der Artikel auf Profashionals
Und jetzt sind alle beleidigt…
Zalando läutet die nächste Phase im Marktplatz-Geschäft ein, erklärt Stefan Wenzel.
How dare they? Was für eine Aufregung im Markt! Dass Amazon all-in zum Teil mehr als 50% Kosten vom Umsatz einzieht, scheint egal. Dabei reden wir hier über die – was das Volumen angeht - führende Plattform für Bekleidung. Dass aber About You und allen voran Zalando nicht nur Provisionen anhebt, sondern zeitgleich den Zugang zur Plattform ähnlich schwer macht wie das benachbarte Berghain und sogar Verkäufer freundlich aber bestimmt von derselbigen schmeißt, das erregt die ohnehin angespannten Gemüter der Branche auf allen Kanälen.
Warum zu Unrecht? Zunächst ist die Aufregung über fast jede Anpassung der Servicegebühren oder Provisionstabellen ein natürlicher Reflex. Amazon und Ebay kennen das seit Jahrzehnten, die Modebranche hat das als late adopter bloß nie großartig interessiert. Was da aktuell passiert, ist aber auch das Ende des Corona-Honeymoons mit Plattformen der zweiten Generation. Und für Verkäufer in Summe nichts weniger als ein neues Kapitel im Marktplatz-Buch: das der Professionalisierung. Klagen hilft da nicht und überraschen sollte auch wenig. Die Reaktionen zeigen aber, wie groß die Missverständnisse und teilweise die Naivität Plattformen gegenüber immer noch sind. Hier eine Einordnung:
Zu den Gebühren: Es sollte nicht überraschen – auch Plattformen sind Wirtschaftsunternehmen. Und wie bei allen anderen Unternehmen muss auch dort, dem aktuellen Zeitgeist der Finanzmärkte folgend sowie durch gestiegene Kapitalkosten genötigt, die eigene Ergebnissituation verbessert werden. Wie das bei sich seitwärts bewegenden Umsätzen und zeitgleich steigenden Kosten geht? Indem man neben der internen Kostenstruktur die Provision auf Umsatz und die Gebühren für Services erhöht. Wer würde das nicht machen? Ein Problem ist das vor allem für diejenigen Seller, die schon vorher ihr Geschäft auf den Plattformen mehr dem Zufall als der eigenen Steuerung überlassen haben und nach bislang wenig Deckungsbeitrag nun gar keinen mehr erwirtschaften. Und es ist ein Problem für all diejenigen, deren Abhängigkeit von einzelnen Plattformen sowieso schon zu hoch war und die jetzt mit der Auslistung die schmerzhafte Bescheinigung dafür bekommen. Man sollte nie zu viele Eier in einem Nest haben. Das zeigte auch der Fall der analogen Dinos Galeria und P&C.
Zu den Auslistungen: Wenn auf Plattformen das Angebot schneller als die Nachfrage wächst, sinkt folgelogisch die durchschnittliche Produktivität je Verkäufer. Das korreliert nicht selten mit deren Unmut, was den Betriebsfrieden der Plattformen im Markt stört. Bewegt sich die Nachfrage-Kurve auf den Plattformen wie aktuell zum ersten Mal nur seitwärts, sinkt die durchschnittliche Produktivität je Verkäufer umso stärker. Zudem verstopften zu hohe Mengen an Sellern und Inventar wortwörtlich die Prozesse und Systeme der Plattformen. Wir sind nämlich technisch noch weit davon entfernt, dass Plattformen flexible Ökosysteme sind, die ohne Probleme Angebot beliebig skalieren können. Beides ist an sich schon ein Problem. Drängt sich aber zudem immer mehr irrelevantes Angebot in diese Nadelöhre, muss die Plattform umso stärker gegensteuern und aussortieren. Wie bei jeder Triage ist das für die Aussortierten bitter. Die verbleibenden Seller werden davon profitieren, weil wieder mehr vom kleineren Kuchen übrig bleibt. Dass es auf Plattformen zum Konflikt der selten synchronisierten Hersteller-Vertriebsmodelle kommt und die Hersteller in den Preiswettbewerb mit Händlern und Unterhändlern gezogen werden, triggert je nach Betreiber-Philosophie zudem ordnungspolitische Eingriffe in das Ökosystem.
Zur Kuration: Warum Angebotsmenge nicht die richtige Antwort auf alle Fragen ist, habe ich nicht zuletzt bereits vor einem Jahr an dieser Stelle beschrieben. Theoretisch zumindest ist es einfach: es geht immer und ausschließlich um Relevanz. Denn nur durch Relevanz und damit Bedeutung und Belohnung entsteht der Treibstoff für impulsive Kaufentscheidungen: Dopamin. Und damit geht es immer nur um die Qualität des Angebots (nicht des Angebotenen), und nicht um Quantität. Dass Zalando Kuration und damit Relevanz priorisiert, sollte selbstverständlich und im Interesse aller Verkäufer auf der Plattform sein. Was denn bitte sonst? Dass dafür eine Ausdünnung der Angebotsbreite notwendig ist, mag verwundern, zeigt aber die technischen Limitierungen im E‑Commerce. Denn eigentlich hilft Quantität natürlich, die Treffer-Wahrscheinlichkeit für Qualität zu erhöhen: je größer der Inventar-Ozean, desto wahrscheinlicher, dass eine für die jeweilige Kundin relevante Perle hochgespült werden kann. Der Kurations-Technologie durch Reduzierung des Artikel-Fundus zu helfen, ist eine etwas krude Krücke und sicherlich nur eine vorübergehende Notlösung. Auch hier darf man auf Rückenwind durch KI hoffen.
Was bedeutet das alles? Für Betreiber von Plattformen ergeben sich offenkundig und schon oft beschriebene Opportunitäten: schneller mehr Relevanz statt all-you-can-eat. Und, in einem ansonsten stark Nutzer-zentrierten Plattform-Markt, echte Seller-Zentrierung jenseits markiger Absichtserklärungen. Für Verkäufer auf Plattformen hat aber tatsächlich ein neues, für viele längst überfälliges Kapitel begonnen: Professionalisierung.
Wer die Dynamik der Provisionstabellen auf Dauer nicht komplett aus dem eigenen Deckungsbeitrag abfedern möchte, muss sein Angebot auf der Plattform anpassen. Die wenigstens entwickeln aber ihre Plattform-Strategien vom Ergebnis her, sondern verkaufen, was der Einkauf ihnen hinstellt. Plattformen sind aber das neue Wholesale und müssen mit der gleichen Ernsthaftigkeit betrieben, entwickelt und Ressourcen-seitig ausgestattet werden. Heute arbeiten in vielen Marktplatz-Teams weniger Leute als im Empfang der Firmen. Statt Strategie, Tools, Daten, Prozesse, Leuten und Partner zur Umsetzung oft mehr Jugend forscht und Klebeband statt Dübel. Beidhändigkeit ist gefragt: Alte Erlösströme im Wholesale solange aufrechterhalten wie möglich und wirtschaftlich sinnvoll, aber parallel in das Wholesale von morgen, also Plattformen, investieren. Aber bitte diversifiziert, damit niemand beleidigt sein muss.
Stefan Wenzel ist seit mehr als 20 Jahren im Digitalen Handel und einer der profiliertesten Köpfe der Branche. Seine Vita beinhaltet unter anderem Stationen als Geschäftsführer für Unternehmen wie Ebay, brand4friends, Otto, Mexx und Tom Tailor Digital. Stefan Wenzel unterstützt Firmen, Gründer und Geschäftsführer als digitaler Beirat, ist regelmäßiger Sprecher auf Fachkonferenzen, Interview- und Podcast-Gast. www.stefanwenzel.com
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