top of page

Stefan Wenzel in der F.A.Z.: TikTok Shop in Deutschland und die Bedeutung für den Handel


Hier zum Artikel bei der F.A.Z.












Der Tiktok Shop fordert den deutschen Handel heraus

von Stefan Wenzel


Der Tiktok Shop startet in wenigen Wochen in Deutschland. Das Potential ist groß, die Mission aber kein Selbstläufer. Es gilt jedoch: Wer nicht auf Tiktok präsent ist, existiert für viele potentielle Kunden schlicht nicht.


Bytedance ist das Unternehmen hinter Tiktokund seinem chinesischen Pendant Douyin. 2012 in Peking gegründet, gehört es mit einer Bewertung von über 300 Milliarden Dollar zu den wertvollsten Technologieunternehmen der Welt. Mit mehr als 130.000 Mitarbeitern ist Bytedance in über 150 Ländern aktiv, der Gesamtumsatz lag im vergangenen Jahr bei rund 100 Milliarden Dollar, das EBITDA bei rund 40 Milliarden Dollar. Der Umsatzanteil außerhalb Chinas lag im vergangenen Jahr bereits bei über 20 Prozent, Tendenz steigend.

Neben Tiktok und Douyin betreibt Bytedance Plattformen wie Toutiao, eine Nachrichten-App mit großer Nutzerbasis, und investiert kräftig in Künstliche Intelligenz, zum Beispiel in den KI-Chatbot Doubao, der mit über 75 Millionen monatlichen Nutzern führend in China ist.

Seit 2021 drängt Bytedance mit Tiktok verstärkt in den Handel und erreichte 2024 bereits ein Bruttowarenvolumen (GMV) von über 30 Milliarden Dollar. Nun nimmt das Unternehmen Deutschland ins Visier und öffnet hier in wenigen Wochen seine KI-unterstützten Shoppingpforten. Was in China längst Milliarden bewegt, soll auch hierzulande zünden: der nahtlose Verkauf von Produkten in unterhaltsamen, hyperpersonalisierten Videos. Das Potential ist groß, die Mission aber kein Selbstläufer.


Ein Milliardenpublikum in der Warteschleife

Der Algorithmus von Tiktok gilt als einer der besten auf dem Markt und fesselt die Nutzer durchschnittlich mehr als 100 Minuten pro Tag an den Bildschirm – ein Wert, von dem selbst Bewegtbild-Primus Youtube träumt. International erreicht Tiktok mehr als eine Milliarde Menschen, in Europa mehr als 100 Millionen, in Deutschland dürften es schon rund 20 Millionen sein. Die Nutzerstruktur hat sich gewandelt: Tiktok wächst längst über die Generation-Z-Blase hinaus. Dank Künstlicher Intelligenz und Unmengen an Nutzerdaten serviert die Plattform hochpersonalisierte Inhalte und belohnt deshalb Relevanz produzierten Contents statt Followerzahlen von Accounts. Das verändert die bislang etablierte Logik weg von Social Media hin zu etwas, dass man eher Interest Media nennen müsste, und demokratisiert damit Reichweite in neuen Dimensionen. Jeder noch so kleine Account kann etablierten Weltmarken Aufmerksamkeit abnehmen.


Die neue Shopping-Maschine

Tiktok definiert Onlinehandel neu, drei zentrale Mechanismen treiben das Modell an:

  • Direkte Kaufoption: Produkte werden per „Shopping Tag“ in Videos integriert und in einem übergreifenden Warenkorb gesammelt. Der gesamte Kaufprozess inklusive Bezahlung erfolgt integriert in der App, ohne Verlinkung zu den Shops der Anbieter und inklusive Lieferung.

  • Livecommerce: Interaktive Livestreams setzen auf zusätzliche Spontankäufe. In China Alltag, in Deutschland trotz eines ersten Format-Hypes während Corona noch in den Kinderschuhen.

  • Creator-Ökosystem: Wer Tiktok beherrscht, gewinnt. Deshalb können erfolgreiche Tiktok Creators ihre Umsätze schneller skalieren als unerfahrene Marken oder Händler. Die Plattform bietet Produktanbietern eine smarte Infrastruktur für die Zusammenarbeit mit ihren Stars.


Social Commerce: Das neue Wachstumsfeld

Social Commerce ist der etwas unscharfe Oberbegriff für diese neuen Formen des E-Commerce und längst kein Nebenschauplatz im globalen Handel mehr. Prognosen zufolge könnte das Segment bis 2025 international eine Billion Dollar erreichen. Während China und die USA die Nase vorn haben, hinkt Deutschland – wie schon beim E-Commerce seit Ende der 90er-Jahre – auch hier zunächst hinterher. Doch die Wachstumsraten deuten auf ein Erwachen hin.


Das Erfolgsrezept von Tiktok: Unterhaltung mit Verkauf verbinden, ohne den Dopaminfluss zu unterbrechen. Das trifft auf eine E-Commerce-Branche, die sich seit ihren Anfängen auf Effizienz und Logistik statt auf Erlebnis konzentriert. Und während andere Entertainment-Plattformen wie Instagram oder Youtube ihre Shopping-Features nur zögerlich vorangetrieben haben, setzt Tiktok von Anfang an auf eine nahtlose Integration – bis hin zum Fulfillment by Tiktok. Und im Gegensatz zu herkömmlichen E-Commerce-Marktplätzen, die Verkäufer nicht selten eher als notwendiges Übel betrachten, hat Tiktok Shop diese Marktlücke auch erkannt und bereits zum Markteintritt eine überzeugende Infrastruktur für Verkäufer und deren Erfolg auf der Plattform entwickelt.


Die Folgen für den Handel

Tiktok Shop eröffnet damit einem im Durchschnitt stagnierenden Markt neue Umsatzpotentiale – vor allem in den Bereichen Mode, Beauty und Lifestyle. Wer es versteht, Produkte in Storytelling einzubinden oder Aufmerksamkeit zu erzeugen, erreicht seine Zielgruppe direkter als je zuvor. Die Plattform lebt von ihrer nutzerindividuellen Relevanz, die der Algorithmus aufgrund der enormen Datenmenge aus 100 Minuten täglicher Nutzung erstaunlich gut liefert. Die ideale Grundlage für Impulskäufe.


Für etablierte Marktplätze wie Amazon, Otto und Zalando stellt Tiktok Shop im Erfolgsfall eine ernst zu nehmende Herausforderung dar. Denn während die klassischen Plattformen auf Suchintention basieren, setzt Tiktok auf spontane Kaufentscheidungen und damit auf belohnende Dopaminzustände bei seinen Usern. Diese führen zu hohen Wiederkehrraten, wodurch weitere Anteile des ohnehin schon knappen Zeit- und Kaufbudgets der Kunden abwandern.


Für den stationären Handel wird die Herausforderung noch größer: Nicht nur die Transaktionsebene verlagert sich zunehmend ins Netz, sondern auch die ohnehin schon fast vollständig digitale Aufmerksamkeitsebene verstärkt sich weiter. Aktuell gilt: Wer nicht auf Tiktok präsent ist, existiert für viele potentielle Kunden schlicht nicht. Gleichzeitig ist Tiktok für stationäre Händler eine neue Bühne, vorausgesetzt, sie investieren in Influencer-Kooperationen oder eigene Produktion. Warum aber nicht die vielen unproduktiven Zeiten im stationären Geschäft für Livestreaming oder die Produktion von Inhalten nutzen?


Herausforderungen: Vertrauen, Datenschutz, Qualität

Die größte Achillesferse des Formats wird sein, ob die Tiktok-Nutzer die Kommerzialisierung der Inhalte und ihres Umfelds akzeptieren. Aber auch der Verbraucher- und Datenschutz bleibt ein kritischer Faktor. Tiktok steht in Europa ohnehin unter regulatorischer Beobachtung. Der Erfolg des Tiktok Shops hängt zudem vom Vertrauen der User ab. Kunden erwarten Sicherheit und Kundenservice und vor allem in Deutschland ein verlässliches Rückgaberecht – ohne diese Standards wird Tiktok Shop in Deutschland keinen Fuß auf den Boden bekommen, und genau das scheint Tiktok verstanden zu haben.


Fazit: Wird Tiktok den Handelsmarkt umkrempeln?

Feststehen dürfte, dass die Zeichen weiter auf Unruhe und Störung des Betriebsfriedens im deutschen Handel stehen. Nach Temu, Shein & Co. betritt mit Tiktok Shop ein neues Format die Bühne, das gezielt die Schwächen des Handels (zu wenig Erlebnis, begrenzte Reichweite), der Marktplätze (starke Käuferzentrierung) und der bisherigen Netzwerke (Social Media statt Interest Media) ausnutzt. Ob das Format nach den Erfolgen in Asien auch im Westen und vor allem in Deutschland abhebt, bleibt abzuwarten. Aber es lohnt sich, Flugstunden zu nehmen.


Comentarios


Ya no es posible comentar esta entrada. Contacta al propietario del sitio para obtener más información.
bottom of page