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Interview zum Handel und die kaufmännische Physik stationärer Flächen









Interview mit Stefan Wenzel, Branchenexperte Digitalhandel, stefanwenzel.com

Handelsimmobilien neu beleben – ein Blick auf die kaufmännische Physik

Warum große Kundenmagnete im Handel schließen und andere Einzelhändler gegen Online-Konkurrenz nicht ankommen, erklärt Stefan Wenzel im Interview mit Karin Hanten.



Heuer Dialog: Herr Wenzel, Ihr CV liest sich beeindruckend. Sie hatten zahlreiche CEO- und Beratungs-Posten bei den namhaftesten Unternehmen inne, die sowohl digitale als auch stationäre Schwerpunkte haben. Welches Thema sind Sie üblicherweise als erstes angegangen?

Stefan Wenzel: Die Themen, Herausforderungen und Gesundheitszustände sind in der Regel sehr unterschiedlich, aber es gibt erkennbare Muster je nach Unternehmensalter und Branche. In traditionellen Unternehmen ist es nicht selten eine Kombination aus unklarer Strategie und daraus resultierender mangelnder Effektivität. Man ist so mit sich selbst und der Optimierung hinter dem Komma beschäftigt, dass man nicht merkt, wie sehr man an Relevanz für den Kunden verloren hat. Handel ist in seinem Selbstverständnis zu oft Logistik und Einkaufskonditionen und zu selten relevantes Kundenangebot. In jungen digitalen Unternehmen geht es nicht selten um die richtige Priorisierung von Themen und eine verlässliche Unternehmenssteuerung im Übergang von bestehender Effektivität zu mehr Effizienz. Wie messe ich Erfolg, was ist Input und was ist Output? Ab einer gewissen Größe werden Methoden und Ansätze aus der Anfangsphase zum Entschleuniger.


HD: Die Beziehung zum Kunden – mehr denn je tritt sie dauernd in Erscheinung. Mit „Customer Journey“, „Community“ und „Experience“ schlagen uns ständig Buzzwords entgegen. Was ist der Trick, damit diese in der Praxis zum echten Erfolg führen?

Wenzel: Auch wenn Erfolg magisch erscheint und Agenturen und Dienstleister dies gerne suggerieren, es gibt keine Tricks. In der Theorie ist es einfach: Wer Wert schöpfen will, muss Wert stiften. In der Praxis fällt das vielen schwer. Wer aber im Kern wenig Wert stiftet, wird das nicht durch Marketing und markige PR kompensieren können. Die schönste 360-Grad-Kampagne, das tollste digitale Instore-Display mit QR-Code, AR-Brille und Café-Ecke nützt wenig, wenn alles andere weitestgehend irrelevant ist. Ein Beispiel dafür ist der vermeintliche Handels-USP der persönlichen Beratung im Laden. In der Theorie wertstiftend, gegen den E-Commerce abgrenzend und auf Retail-Kongressen das ewige Mantra, in der Realität für den Kunden aber seltenst erlebbar. Oder wann sind Sie das letzte Mal in den Genuss einer guten Beratung im Handel gekommen? Der digitale Handel ist übrigens nicht viel besser und hat sich in den letzten 10 Jahren auch mehr mit der Optimierung der austauschbaren Rillen beschäftigt als mit echter Innovation für den Kunden. Positiv betrachtet ist das eine große Chance für alle Marktteilnehmer: wertschöpfende und differenzierende Kundenangebote statt ‘Lipstick-on-a-pig’-Marketing.


HD: Im E-Commerce sind Sie ausgewiesener Experte. Welchen Trend sollte jedes Unternehmen gerade auf dem Schirm haben und was wird im Online-Handel überbewertet?

Wenzel: Künstliche Intelligenz (KI) und Consumer-to-Manufacturer (C2M) sind zwei tektonische Themen für den Handel. KI ist weder neu, noch beschränkt sie sich auf Effizienzsteigerungen in der Wertschöpfungskette. KI verändert die Wertschöpfung an sich, wie die Geschäftsmodelle von Shein, Temu & Co. zeigen. Die KI-basierte Übersetzung der bestehenden Nachfrage in Produkte ersetzt das bisherige Modell des einkaufsbasierten Handels. Die direkte Anbindung chinesischer Produzenten an die Plattformen ermöglicht zudem einen extremen Preisvorteil. So entsteht Mehrwert für den Kunden durch Sortimentsrelevanz und niedrigste Preise. Und der ist so groß, dass Themen wie Nachhaltigkeit oder soziale Verantwortung in den Hintergrund rücken - Shein hat H&M längst überholt und zeigt Primus Inditex schon von hinten die Lichthupe. Was wiederum gerne überschätzt wird, ist die grundsätzliche Magie von Technologieeinführungen. Anstatt die Relevanz im Kern zu verbessern, wird kaum vorhandenes Kapital in Marktplatzerweiterungen, ERP-Systeme oder Click & Collect investiert. Die meisten Unternehmen haben abert schon viel zu viele Tools und Systeme im Einsatz, viele davon redundant, oft nur halbherzig implementiert und noch weniger genutzt. Der Wert liegt aber nicht in der Technologie, sondern in der Anwendung und damit in der Frage, ob für den Kunden ein Wettbewerbsvorteil entsteht.


HD: Sie stellen in Frage, ob stationäre Flächen im Vergleich zum Online-Handel noch Sinn machen, wenn man die Kosten-Nutzen-Rechnung betrachtet. Wäre Ihrer Meinung nach auf Retailimmobilien-Seite eine Optimierung herzustellen – bspw. durch geringere Mieten?

Wenzel: Die kaufmännische Physik funktioniert bei vielen Händlern einfach nicht mehr. Die Fixkostenquote ist so hoch, dass schon ein Umsatzrückgang von wenigen Prozentpunkten zu einem Verlust führt. Die Miethöhe ist je nach Leistungsfähigkeit des Standortes sicherlich ein Thema. Letztlich geht es immer um das Produkt aus Leistungsfähigkeit des Standortes und die Relevanz des Einzelhändlers am jeweiligen Standort. Kundenmagnete schließen, andere Einzelhändler sind gegenüber den Online-Shops nicht wettbewerbsfähig und um das Umfeld aus Gastronomie, Entertainment und Wohnen hat man sich nie gekümmert. Das macht die Sache leider nicht einfacher, denn die Lösung erfordert das Zusammenspiel aller Protagonisten des Teams Innenstadt - ein Team, das es so aber nicht gibt.


HD: Herr Wenzel, wir danken für das Gespräch.



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