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Gast-Artikel zur vermeintlichen Krise des Online-Handels







Liebling, ich habe den E‑Commerce geschrumpft!


Herrscht nun eine Online-Krise oder ist bloß die Linse etwas verrutscht? Fragt sich Stefan Wenzel. Und nennt vier Grundannahmen, die für jedes Geschäftsmodell gelten. Kanal? Egal.


Wer stän­dig stei­gen­de Pro-Kopf-Umsät­ze erwar­tet, hat aktu­ell even­tu­ell etwas die Boden­haf­tung ver­lo­ren. Das monat­li­che Ein­kom­men in Deutsch­land liegt die­ses Jahr laut GfK nach Steu­ern im Schnitt bei unter 2200 Euro, die Ver­brau­cher­prei­se sind im Ver­gleich zu 2020 um fast 20 Pro­zent gestie­gen. Da bleibt schlicht weni­ger im ohne­hin oft engen Porte­mon­naie. Nimmt man die glo­ba­le Nach­rich­ten­la­ge hin­zu, ist es nicht ver­wun­der­lich, dass zudem die Kon­sum­lau­ne auf dem gefühl­ten Null­punkt ange­langt ist. Der Index ist seit Jah­res­be­ginn zwei­stel­lig nega­tiv und ten­diert mit aktu­ell ‑28 Punk­ten wei­ter abwärts. Die dadurch bei Kun­den aus­ge­lös­te „Kauf-Tria­ge“ gewinnt, wer ent­we­der den güns­tigs­ten Preis für Din­ge des täg­li­chen Bedarfs hat oder sol­che mit hohem Beloh­nungs­wert anbie­tet. Folg­lich per­for­men Dis­count-Kon­zep­te am einen Ende des Spek­trums, Rei­sen, Essen und je nach Geld­beu­tel gedie­ge­ner Luxus am ande­ren.


Dass all das ent­spre­chen­de Aus­wir­kun­gen auf den Ein­zel­han­del hat, ist klar. Eben­so klar ist, dass gestie­ge­ne Zin­sen und der aktu­el­le E‑Com­mer­ce-Blues am Kapi­tal­markt die Finan­zie­rung von Inno­va­ti­on und Wachs­tum deut­lich erschwert haben. Bei­des sind sich ergän­zen­de und zum Teil bedin­gen­de, aber unter­schied­li­che The­men.


Weni­ger klar scheint, ob der E‑Commerce an sich in einer Kri­se steckt. Im Durch­schnitt könn­te man dies viel­leicht ver­mu­ten, wenn­gleich auch 2023 das Spek­trum von Geschäfts­auf­ga­ben bis hin zu zwei­stel­li­gem Wachs­tum, z.B. auf dem Markt­platz des ehe­ma­li­gen Buch­händ­lers aus Seat­tle, reicht. Wie wenig der errech­ne­te Mit­tel­wert aber wei­ter­hilft, weiß jeder, der im Durch­schnitt einen theo­re­ti­schen Voll­tref­fer gelan­det, in der Rea­li­tät aber im Wech­sel an bei­den Sei­ten des Ziels gleich weit vor­bei­ge­schos­sen hat.


Dass sich der Online-Han­del im zwei­ten Jahr nach der Coro­na-Explo­si­on in einer neu­en Pha­se befin­det, ist unstrit­tig, hilft aber als All­ge­mein­platz nicht wei­ter. Es ist kei­ne pau­scha­le For­mat-Kri­se, wenn der Pro-Kopf Umsatz eines 10 Mil­li­ar­den gro­ßen Onliners in einem schwie­ri­gen Jahr um 3% zurück­geht oder sich zu chi­ne­si­schen Online-Ange­bo­ten ver­schiebt. Der Abge­sang ist nicht nur inhalt­lich falsch, er revi­ta­li­siert zudem den digi­ta­len Vor-Coro­na-Win­ter­schlaf vie­ler Sta­tio­nä­rer. Damit wie­der­um erweist er der Han­dels­bran­che, die nicht zuletzt auch wegen ver­schla­fe­ner Digi­ta­li­sie­rung und über­schau­ba­rer Inno­va­ti­ons­kraft dort steht, wo sie steht, einen ech­ten Bären­dienst.

Lieber Mono-Exzellenz stattOmni-Mittelmaß

Die fol­gen­de Heu­ris­tik hilft, jen­seits von Pau­schal­ur­tei­len die eige­ne Zukunfts­fä­hig­keit oder die der Wett­be­wer­ber zu über­prü­fen. Und sie hilft zu ver­ste­hen, war­um es eine Stra­te­gie ohne digi­ta­len Anker unge­ach­tet ein­zel­ner Erfolgs- oder Miss­erfolgs­ge­schich­ten schwer haben wird:


Kun­den­re­le­vanz: Zunächst geht es um die Pro­po­si­ti­on und deren Kun­den­re­le­vanz als Achil­les­fer­se eines jeden Geschäfts­mo­dells. Rele­vanz ent­steht vor allem durch den Grad emp­fun­de­ner Beloh­nung, und das soll­te die kon­zep­tio­nel­le Grund­la­ge jedes Modells sein. Beloh­nung kann ratio­nal über den bes­ten Preis (Dis­count, Value) oder die höchs­te Bequem­lich­keit (Con­ve­ni­ence, Ser­vice) ent­ste­hen, oder emo­tio­nal über Bedeu­tung (Mar­ke, Pro­jek­ti­on). Je ange­spann­ter die Kon­sum­si­tua­ti­on, je stär­ker die “Kauf-Tria­ge”, des­to wich­ti­ger wird der Fak­tor Beloh­nung. So wesent­lich die Fra­ge nach der Rele­vanz der Pro­po­si­ti­on ist, so sel­ten kann sie klar beant­wor­tet wer­den.


Medi­um: Dass der Kanal egal ist, stimmt nicht. Das Smart­phone ist der domi­nan­te Auf­ent­halts­ort der aller­meis­ten Men­schen, wir ver­brin­gen einen gro­ßen Teil unse­rer Zeit mit Social Media, Con­tent und Gam­ing. Ten­denz stei­gend. Wer dort nicht statt­fin­det, fin­det über­haupt nicht statt. Wer aber an den digi­ta­len Auf­ent­halts­or­ten kei­ne Rele­vanz und Exzel­lenz hat oder Kun­den gar über Medi­en­brü­che hin­weg begeis­tern will, erhöht sei­ne Inef­fi­zi­enz und die Gefahr des Sicht­bar­keits- und letzt­lich Bedeu­tungs­ver­lus­tes. Omnich­an­nel als kleins­ter gemein­sa­mer Sys­tem-Nen­ner ist oft weit ent­fernt von ech­tem Kun­den­mehr­wert. Es geht aber um Wirk­sam­keit. Wer kon­se­quent mit 20 Pro­zent Auf­wand 80 Pro­zent Wir­kung erzielt, wird vor­ne mit­spie­len. Weni­ger ist also das neue Mehr, Effek­ti­vi­tät die neue Effi­zi­enz. Oder mit ande­ren Wor­ten: lie­ber Mono-Exzel­lenz statt Omni-Mit­tel­maß.


Kos­ten­struk­tur: Kapi­tal­be­darf und Kapi­tal­ef­fi­zi­enz hän­gen natür­lich nicht nur vom Wachs­tums­an­spruch und der eige­nen Kapi­tal­aus­stat­tung ab. Je höher der Anteil klas­si­scher Kom­po­nen­ten wie Bewirt­schaf­tung (eige­ne Bestän­de statt Fremd­be­stän­de), lan­ge Vor­or­der-Zyklen mit ent­spre­chen­der Kapi­tal­bin­dung, Retou­ren­quo­ten und Über­han­g­ri­si­ken, des­to inef­fi­zi­en­ter ist in der Regel das gesam­te Modell. Zum Risi­ko wer­den zudem hohe Fix­kos­ten­an­tei­le, vor allem in Zei­ten vola­ti­ler oder gar rück­läu­fi­ger Umsät­ze. Dass Fix­kos­ten nicht nur sta­tio­när ein Fak­tor sind, haben die Ent­las­sungs­wel­len der Tech-Kon­zer­ne im zurück­lie­gen­den Jahr gezeigt. Den­noch ist es for­matim­ma­nent, dass die Laden­mie­te unab­hän­gig von Traf­fic und Umsatz anfällt und manch­mal ein Drit­tel des sta­tio­nä­ren Gesamt­um­sat­zes aus­macht. Das mag bei stei­gen­dem Traf­fic und Umsatz kein Pro­blem sein, für die meis­ten dürf­te die­se Prä­mis­se aber nicht zutref­fen.

Wer Wert schöpfen will,muss Wert stiften

Wäh­rend vie­le auf die Fix­kos­ten schau­en, sind vor allem die Mar­gen im klas­si­schen „Dritt­an­bie­ter­mo­dell“ unter Druck. Für Kun­den ist in vie­len Kon­zep­ten schon lan­ge kein dif­fe­ren­zie­ren­der Leis­tungs­wert mehr erkenn­bar. Die Zah­lungs­be­reit­schaft ist ent­spre­chend ver­lo­ren gegan­gen. Hohe Aus­tausch­bar­keit und oft nur durch­schnitt­li­che Leis­tun­gen füh­ren dazu, dass Kun­den zum güns­tigs­ten Preis abwan­dern. Eige­nes geis­ti­ges Eigen­tum, emo­tio­na­le Beloh­nung, wert­schöp­fen­de Ange­bo­te und Leis­tun­gen in Abgren­zung zum Wett­be­werb sind die Basis für die Zah­lungs­be­reit­schaft der Kun­den und damit für gesun­de Mar­gen. Wer Wert schöp­fen will, muss Wert stif­ten.


Mar­ken­wert: Nicht zuletzt ist der Anteil an orga­ni­schem Umsatz ein wei­te­rer Lack­mus­test für die Zukunfts­fä­hig­keit. Ein hoher Anteil an Traf­fic und Neu­kun­den durch Mar­ke­ting kann eine geziel­te Inves­ti­ti­on in den Auf­bau einer künf­ti­gen Kun­den­ba­sis sein. Oder aber ein Indi­ka­tor für zwei Pro­ble­me: man­geln­der Mar­ken­wert und gerin­ge Kun­den­loya­li­tät. Händ­ler sehen sich zu oft als neu­tra­le Aus­stel­lungs­flä­che für über­all ver­füg­ba­re Fremd­mar­ken und ver­nach­läs­si­gen den Auf­bau einer eige­nen Mar­ke. Ratio­na­le und emo­tio­na­le Mehr­wer­te schüt­zen nicht nur vor Kun­den­ab­wan­de­rung, son­dern hebeln auch die Mar­ke­ting­aus­ga­ben.


Ergo: Es gibt kei­ne gene­rel­le Kri­se, son­dern ledig­lich Unter­neh­men und Geschäfts­mo­del­le, die in der Heu­ris­tik ins­ge­samt zu gering punk­ten. Kanal egal.


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